Interview mit Prof. Dr. Michael Hegemann

Mit den Spuren, die der Bergbau hinterlässt, kennt er sich bestens aus: Fast 30 Jahre war Prof. Michael Hegemann als Markscheider für die Vermessung über und unter Tage bei der RAG AG zuständig. Er führte die Risswerke, kümmerte sich um behördliche Genehmigungsverfahren und später um die Bearbeitung von Bergschäden. Dann promovierte er zu seinem Lieblingsthema Bodenbewegungen und gab als Stiftungsprofessor seit 2008 sein Wissen an die Studierenden der THGA weiter. Seither hat Prof. Dr. Michael Hegemann auch an der Hochschule viel bewegt und wurde dort zu einem der Wegbereiter des Nachbergbaus.
Jetzt verabschiedete das FZN seinen Gründungsvater und geschätzten Vordenker in den Ruhestand.

Professor Hegemann, woran denken Sie, wenn Sie auf Ihre Anfangstage an der THGA zurückblicken?

Prof. Dr. Hegemann: Als ich im Sommersemester 2008 zum Stiftungsprofessor ernannt wurde, war das eine Win-Win Situation. Einerseits für die Hochschule, weil ich mein Wissen und meine Erfahrungen aus der Praxis in die THGA (damals noch TFH) einbringen konnte und andererseits für mich, da ich ab 2010 von der RAG AG in die Altersanpassung gegangen bin und somit weiter beruflich tätig sein konnte. Gleichzeitig hatte ich immer Spaß daran, Wissen weiter zu geben, im Kontakt und Dialog mit jungen Menschen zu bleiben und unterschiedliche Charaktere kennenzulernen.

Die erste Herausforderung war, wieder an einer Schule zu sein – zwar nicht als Schüler, aber als Lehrer. Und weil ich aus der Wirtschaft kam, musste ich mich zuerst in das Feld der Pädagogik einarbeiten, um die Studierenden zu verstehen und zu begreifen, wie sie denken. Die zweite Herausforderung war die ganze andere Form des Betriebes. Im Vergleich zu einem Industrieunternehmen funktioniert eine Hochschule doch anders. Das war ein riesiger Unterschied, den ich erstmal umsetzen musste. Ein guter Einstieg in das Verständnis der Organisationsstruktur der Hochschule war dann die Konzeption des Masterstudiengangs Geoingenieurwesen und Nachbergbau.

Was machte einen solchen Studiengang nötig?

Prof. Dr. Hegemann: 2007 wurde beschlossen, dass der Steinkohlenbergbau in Deutschland 2018 beendet wird. In dieser Situation hielten wir es für sinnvoll, mit dem Masterstudiengang Geoingenieurwesen und Nachbergbau ein Angebot zu schaffen, das sich mit den Folgen aber auch mit den Chancen ehemaliger Bergbauregionen beschäftigt. Zusammen mit Prof. Dr. Christoph Dauber und anderen Kollegen haben wir die Konzeption des Studiengangs 2011 auf den Weg gebracht. Ich habe mich dabei insbesondere mit den Lehrinhalten beschäftigt. Dabei stellte ich mir grundsätzlich die Frage: Nachbergbau – was ist das überhaupt? Zumal es das Wort als solches noch nicht gab und die Überlegungen dahingingen, den Studiengang „Altbergbau“ zu nennen. Im Zuge dessen bin ich ein paar Tage lang in mich gegangen und bin dann auf den Begriff „Nachbergbau“ gekommen. Mit dem Präfix „Nach“ wurde eine Perspektive vermittelt: es gibt ein danach, es geht weiter, wir blicken nach vorne. Der Name wurde sehr schnell akzeptiert und hat sich in den Folgejahren zunehmend verbreitet. Und jetzt haben wir bereits seit über fünf Jahren das Forschungszentrum Nachbergbau. Ich bin etwas stolz darauf, dass der Begriff so prominent wurde. Große Freude hat mir außerdem die Vorlesung meines Lieblingsfaches „Bodenbewegungen“ gemacht.

(Prof. Dr. Hegemann bei der International Conference on Ground Control in Mining im Jahr 2016,  Foto: Archiv Michael Hegemann)

Worum wird es in Zukunft beim Thema Nachbergbau gehen?

Prof. Dr. Hegemann: Ich sehe für die Forschung zum Nachbergbau einiges an Potential. Als wir starteten, haben wir primär an die Bearbeitung der Themen der Steinkohle gedacht. Mit der Gründung des FZN in 2015 wurden dann weitere Bergbauzweige in den Blick genommen. Denn auch im Braunkohle- oder Kalibergbau wird man einmal an den Punkt kommen, an dem man sich mit den Fragen des Nachbergbaus beschäftigen muss. Das heißt, es gibt eine Vielzahl zukünftiger Herausforderungen. Dazu zählt der Umgang mit großen, vor allem historischen Datenmengen, die aus dem Nachbergbau neu entstehen. Ich denke dabei an kartographische, chemische, geologische, hydrologische, Monitoring- und Zeit-Daten. Wichtig sind hierfür Kenntnisse von Markscheiderinnen und Markscheidern, die sich vor allem mit den analogen, historischen Unterlagen befassen, weil sie die notwendige Expertise und Erfahrung mitbringen. Die digitalen und analogen Daten müssen miteinander verknüpft werden – beispielsweise mit Künstlicher Intelligenz – um Zusammenhänge zu erkennen, die wir auf den ersten Blick noch nicht sehen. In diesem Bereich werden in Zukunft viele Studierende nach ihrer Ausbildung Möglichkeiten finden, ihre Fähigkeiten für den Nachbergbau einzusetzen. Für die Zukunft des Nachbergbaus brauchen wir einerseits die Digitalisierung und andererseits die Fähigkeit, das etablierte Wissen und die Erfahrungen aus der Vergangenheit für die Zukunft zu nutzen. Man sieht also: neue Erkenntnisse und technische Möglichkeiten führen zu neuen Lösungswegen und Aufgabengebieten

Tagung „NACHbergbauzeit in NRW…“ im Jahr 2017 (Foto: Holger Wiciok/THGA)

Gemeinsam mit der Bezirksregierung Arnsberg haben Sie auch eine neue, erfolgreiche Veranstaltungsreihe an der THGA begründet – die NACHBergbauzeit in NRW. Warum ist der Dialog zwischen Wissenschaft, Unternehmen, Behörden und Öffentlichkeit so wichtig?

Prof. Dr. Hegemann: Die Idee zur Tagung „NACHbergbauzeit in NRW…“kam von Andreas Sikorski, der damals Leiter der Bergbehörde bei der Bezirksregierung Arnsberg war. Er machte 2011 den Vorschlag, eine Tagung zum Thema Nachbergbau zu veranstalten, die einerseits den Aspekt der regionalen und kommunalen Relevanz beachtet und vor allem Bürgerinnen und Bürgern, Behörden sowie Bürgerinitiativen die Gelegenheit bietet, sich zu dem Thema zu informieren. Zu dem Zeitpunkt wurde das Studierendenzentrum am Campus gerade fertiggestellt und bot sich als optimaler Veranstaltungsort an. Zur ersten Tagung im Juli 2011 mit zwölf Vorträgen kamen bereits über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Besonders wichtig ist bei der Tagung die Netzwerkarbeit, deswegen haben wir bei der Konzeptionierung der Tagungen stets auf genügend lange Pausen geachtet, damit die Veranstaltungen zum Kennenlernen und Austausch genutzt werden konnten. Bei diesem „Netzwerken“ gibt es immer wieder Anregungen, die in die Forschungen des FZN einfließen.

 Prof. Dr. Michael Hegemann mit Studierenden des Masterstudiengangs „Mining Engineering“  in der Namibia University of Science and Technology. (Foto: Archiv Michael Hegemann)

Sie waren beruflich viel in der Welt unterwegs. Unter anderem in den USA, China, Australien und in Namibia, wo Sie über sechs Jahre eine Gastprofessur an der Namibia University of Science and Technology innehatten. Wie sah die Lehre dort aus?

Prof. Dr. Hegemann: Die Hochschule in Windhoek in Namibia ist mit Beginn der Unabhängigkeit 1992/1993 entstanden. Ich kannte dort den Kollegen Prof. Helmut Mischo, der den Bachelorstudiengang „Mining Engineering“ dort ins Leben gerufen hatte. Über diese Verbindung kam es 2010/2011 zu einer Kooperation zwischen der damaligen Polytechnic of Namibia (heute Namibia University of Science and Technology) und unserer Hochschule. Im Rahmen des Kooperationsvertrages gab es die Anfrage, ob jemand einen Kurs zur Bergvermessung halten könnte. Das war dann der Startschuss für mich. Von 2012 bis 2017 bin ich regelmäßig nach Namibia geflogen und habe dort ein vierwöchiges Blockseminar für bis zu 25 Studierende durchgeführt, die nach dem Studium in der namibischen und südafrikanischen Bergbauindustrie tätig wurden. Neben dem Grundwissen zur Vermessung habe ich außerdem bergmännisches Risswesen, Geophysik, Bodenbewegungen, und rechtliche Grundlagen gelehrt. Was mich erstaunt hat: Dort gibt es ein sehr modernes Berggesetz von 1992, das bereits häufig den Begriff der Nachhaltigkeit enthält und vieles ganzheitlich betrachtet.

Welchen Einfluss hat das deutsche Know-how zum Bergbau und Nachbergbau auf andere Länder?

Prof. Dr. Hegemann: Das deutsche Wissen zum Bergbau wurde stark exportiert. Sowohl durch ausländische Studierende, die in Deutschland Bergbau studiert haben, als auch durch deutsche Ingenieurinnen und Ingenieure, die dann ins Ausland gegangen sind. China zum Beispiel hat die Struktur des deutschen Markscheidewesens übernommen. Auch das Thema Nachbergbau wird international immer bedeutender. Bei meinen internationalen Vorträgen und Teilnahmen an Tagungen gewann ich zunehmend den Eindruck, dass die Themen Nachhaltigkeit, Nachbergbau und Strukturwandel stärker in den Fokus rücken. Klar, Probleme des Bergbaus hat jedes Land schon mal gehabt, aber das die Wissenschaft sich weltweit damit beschäftigt, das kommt erst jetzt.

Verleihung der THGA-Ehrenmedaille an Prof. Dr. Michael Hegemann (2.v.l.) mit dem THGA-Ehrensenator und RAG-Vorstandsvorsitzender Peter Schrimpf (li.), THGA-Präsident Prof. Dr. Jürgen Kretschmann (2.v.r.) und  Marcus Plien (r.). Das Foto ist unter Einhaltung der Corona-Hygienevorschriften im Dezember 2020 entstanden. (Foto: Dietmar Klingenburg, RAG AG)

Ihnen wurde zuletzt die Ehrenmedaille der THGA verliehen, die Ihren Verdienst für die Hochschule und den Nachbergbau würdigt. Dabei wurden Sie sogar als „als einer der Gründungsväter des „Nachbergbaus“ bezeichnet. Was bedeutet das für Sie und wie geht es für sie privat weiter – nach dem Nachbergbau?

Prof. Dr. Hegemann: Bei einem Treffen mit unserem Präsidenten Prof. Dr. Kretschmann und dem Ehrensenator der THGA und Vorstandssprecher der RAG AG, Herrn Peter Schrimpf, bei dem es aus meiner Sicht um meine Verabschiedung gehen sollte, wurde mir zu meiner großen Überraschung die Ehrenmedaille der THGA für die Stärkung des internationalen akademischen Netzwerkes verliehen. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich sehe diese Ehrung auch als Anerkennung meiner 13-jährigen Arbeit an der THGA. An dieser Stelle möchte ich mich nochmal herzlich bei Prof. Kretschmann und Herrn Schrimpf bedanken, aber auch bei allen Kolleginnen und Kollegen der THGA, mit denen ich in all den Jahren erfolgreich zusammenarbeiten durfte. Mein besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen des FZN, denen ich weiterhin viel Erfolg wünsche.

Eine Grundvoraussetzung für meine zukünftige Planung ist natürlich gesund zu belieben. Dann werde ich meiner Tätigkeit als Markscheider in einer freiberuflichen Tätigkeit weiter nachgehen und in den Bereichen Risswerk, Grubenbild oder auch Nachbergbauproblematik weiter aktiv tätig sein. Dies aber nur in einem kleineren Umfang, denn ich habe ja auch noch Hobbys, wie z.B. Motorradfahren, Reisen und Garten. Ich hoffe, dass ich in diesem Jahr ein paar längere Touren machen kann und in Zukunft auch nochmal nach Namibia und Südafrika reisen werde.

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